Wenn der Hoden nicht absteigt - Kryptorchismus

Unter Kryptorchismus versteht man das nicht Vorhandensein eines oder beider Hoden im Hodensack des Hengstes. Es handelt sich dabei um eine beim Pferd relativ häufig vorkommende Entwicklungsstörung, die bei allen Pferderassen vorkommen kann. Umgangssprachlich werden diese Hengste auch als „Klopp-, Spitz- oder Urhengste“ bezeichnet. Da ein Großteil der kryptorchiden Hengste unfruchtbar ist, hat diese Erkrankung in Bezug auf die Pferdzucht auch eine wirtschaftliche Bedeutung.

INHALT
Ursache Einteilung Symptome Diagnose Behandlung Prognose
Ursache

Im Normalfall steigen die Hoden beim Pferd im Zeitraum von 30 Tagen vor und bis etwa 10 Tagen nach der Geburt des Fohlens aus der Bauchhöhle in den Hodensack ab. Grund hierfür ist die geringere Temperatur außerhalb des Körpers, die Voraussetzung für die Spermienproduktion ist. Ausgelöst wird der Hodenabstieg durch mechanische und hormonelle Faktoren.

Unterschiedliche Faktoren können dazu führen, dass es zu einer Störung des Hodenabstiegs kommt. Dazu gehören hormonelle Störungen, ein zu lange bestehenbleibendes Keimdrüsenband, Verklebungen mit der Niere sowie Tumor- oder Zystenbildung. Eine Erblichkeit der Erkrankung ist zwar nach wie vor nicht wissenschaftlich belegt, jedoch sehr wahrscheinlich.

Einteilung

Je nach Lage der nicht oder nicht vollständig abgestiegenen Hoden können drei Formen des Kryptorchismus unterschieden werden. Es können jeweils ein oder beide Hoden betroffen sein.

Beim inguinalen (= den Leistenbereich betreffend) Kryptorchismus liegt ein meist unterentwickelter, kleiner Hoden in einem unvollständigen Scheidenhautsack im Leistenkanal, der von außen dort auch tastbar sein kann. Im Fall des abdominalen (= die Bauchhöhle betreffend) Kryptorchismus ist der fehlende Hoden von außen nicht zu tasten, er liegt vollständig in der Bauchhöhle. In einigen Fällen kann der Tierarzt einen solchen abdominalen Hoden während der rektalen Untersuchung ertasten. Aufgrund der höheren Temperatur und der veränderten Durchblutung sind diese Hoden ebenfalls klein, unterentwickelt, schlaff, produzieren keine Spermien und neigen zu Entartungen. Da jedoch weiterhin Geschlechtshormone gebildet werden, bleiben die sekundären Geschlechtsmerkmale und der Geschlechtstrieb erhalten.

Nicht selten kommt es beim Pferd auch vor, dass der Hoden in der Bauchhöhle, der Nebenhoden und der Samenleiter jedoch im Leistenkanal liegen, so dass man von einem unvollständigen abdominalen Kryptorchismus spricht.

Beidseitige Kryptorchiden sind nicht zeugungsfähig (= steril), wohingegen einseitig kryptorchide Hengste zwar deutlich weniger Spermien produzieren, aber noch fruchtbar sind. Aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit der Erblichkeit der Erkrankung sollten diese Tiere trotzdem nicht zur Zucht eingesetzt werden.

Schema inguinaler Kryptorchismus
Inguinaler Kryptorchismus: 1 Samenstrang | 2 Nicht abgestiegener Hoden und Nebenhoden | 3 Hodensack (ohne abgestiegenen Hoden) | 4 Innerer Leistenring | 5 Äußerer Leistenring
Schema abdominaler Kryptorchismus
Abdominaler Kryptorchismus: 1 Dickdarm | Im Bauchraum befindlicher Hoden (violett) und Nebenhoden (gelb) mit Samenstrang (rosa)| 3 Samenleiterampulle | 4 Harnblase | 5 Harnröhre | 6 Hodensack (ohne abgestiegenen Hoden) | 7 Hodensack mit Samenstrang, Hoden und Nebenhoden | 8 Penis
Symptome

Kryptorchide Hengste fallen in vielen Fällen bereits durch das offensichtliche Fehlen eines oder beider Hoden im Hodensack auf. Da die Hormonproduktion beim Kryptorchismus nicht eingeschränkt ist, zeigen auch kryptorchide, unfruchtbare Hengste einen normalen Geschlechtstrieb und Hengst-typisches Verhalten. Ältere Kryptorchiden verhalten sich häufig aggressiv und bösartig, was den Umgang zum Teil erheblich erschwert.

Solltest du den Verdacht haben, dass es sich bei deinem Hengst um einen Kryptorchiden handelt oder dein Wallach plötzlich untypisches Hengstverhalten zeigt, stell ihn möglichst zeitnah bei einem Tierarzt vor.

Diagnose

Da die Diagnose nicht immer ganz einfach ist, wird dein Tierarzt dich häufig als erstes um einen ausführlichen Vorbericht bitten, da insbesondere die Informationen über Züchter, Besitzerwechsel und eventuelle Kastrationsversuche für den weiteren Untersuchungsverlauf sehr wichtig sind. Im Anschluss wird er eine gründliche klinische Untersuchung durchführen. Im Rahmen seiner Untersuchung tastet er den gesamten Hodensack von außen genau ab und führt je nach Fall auch eine rektale Untersuchung durch. In einigen Fällen kann er jetzt bereits eine Diagnose stellen, es lassen sich jedoch nicht alle nicht abgestiegenen Hoden auf diese Weise lokalisieren.

Bei angeblich kastrierten Tieren, die Hengstmanieren zeigen, müssen Kastrationswunden genauestens untersucht werden. Eine weitere Untersuchungsmethode, um einen fehlenden Hoden aufzuspüren ist die Ultraschalluntersuchung, die sowohl innerlich über den Enddarm (= rektal) als auch äußerlich im Bereich der Leistengegend angewandt werden kann.

Bei nach wie vor unklaren Fällen kann mit Hilfe der Bestimmung von Testosteron im Blut unterschieden werden, ob es sich um einen Hengst oder einen Wallach handelt. Bei Hengsten und Kryptorchiden finden sich hohe Testosteron-Werte, während Wallache sehr niedrige Werte aufweisen.

Behandlung

Eine hormonelle Behandlung zur Stimulation des Hodenabstiegs ist nicht möglich. Um tumoröse Entartung, Zystenbildung und unerwünschtes Verhalten zu verhindern, sollten kryptorchide Hengste frühzeitig kastriert werden. Bei einseitigem Kryptorchismus muss sowohl der im Hodensack befindliche als auch der nicht abgestiegene, kryptorchide Hoden operativ entfernt werden.

Je nach Lage des oder der Hoden ergeben sich für den Tierarzt unterschiedliche Operationsmöglichkeiten, die zum Teil auch am stehenden Pferd und auch minimal-invasiv mittels Laparoskopie (= Bauchspiegelung) durchgeführt werden können.

Die Operation sollte in ein einer entsprechend ausgestatteten Pferdklinik durchgeführt werden, in der das Pferd auch die ersten Tage nach der Operation noch überwacht werden kann. Dein Tierarzt wird mit dir besprechen, welche Methode im Einzelfall am geeignetsten ist.

Prognose

Abgesehen davon, dass das Pferd nicht mehr zur Zucht eingesetzt werden kann, besteht für die Nutzung als Reitpferd eine gute Prognose.