Mein Pferd ist verletzt – wann muss ich einen Tierarzt rufen?

Es passiert auf der Koppel oder auch in der Box, dein Pferd verletzt sich und blutet eventuell auch. Was ist zu tun? Nur ein kleiner Kratzer, eine Beule oder gar eine riesige, klaffende Fleischwunde? Muss ich den Tierarzt rufen oder kann ich das selbst versorgen und wenn ja, wie? Wie kann ich das Verletzungsrisiko in Zukunft minimieren? Durch Tritte, Bisse, Stürze oder auch Fremdkörper können Schnitt-, Stich- oder Schürfwunden, Prellungen, Quetschungen oder Verbrennungen beim Pferd entstehen, die je nach Schweregrad eine tierärztliche Behandlung erforderlich machen. Wie schwerwiegend eine Verletzung ist, hängt immer auch von ihrer Lokalisation und der Beteiligung umliegender Strukturen, wie etwa Muskeln, Sehnen oder Gelenke, ab. Wie bei uns Menschen werden auch beim Pferd gedeckte und offene Verletzungen unterschieden. Bei gedeckten Verletzungen ist die Haut des Pferdes unbeschädigt, weshalb diese Art der Verletzung nicht immer leicht zu erkennen ist. So kann es zum Bespiel durch einen Tritt zu einem Bluterguss gekommen sein, der uns als Besitzer eventuell erst beim Putzen oder durch ein Lahmen des Pferdes auffällt. Bei Beschädigung der Haut spricht man von offenen Verletzungen oder auch Wunden. Es kommt zu mehr oder weniger starken Blutungen, aber auch hier können kleinere Wunden aufgrund des Fells übersehen werden.

INHALT
Treffen die folgenden Punkte zu, muss umgehend ein Tierarzt gerufen werden: Kleinere Wunden oder Prellungen: Maßnahmen, die der Tierhalter durchführen kann Größere Verletzungen: erste Maßnahmen bis der Tierarzt eintrifft Behandlung Wundheilung und Komplikationen Prophylaxe – ist das möglich?
Treffen die folgenden Punkte zu, muss umgehend ein Tierarzt gerufen werden:

  • Die Wunde ist groß und klafft weit auseinander
  • Die Wunde ist sehr tief oder nicht zu beurteilen (z.B. Stichwunde: Stichkanal nicht zu sehen)
  • Die Wunde blutet stark
  • Es steckt ein Fremdkörper in der Wunde – unbedingt stecken lassen, da durch Herausziehen zum Teil zusätzliche Verletzungen und schwere Blutungen entstehen können!
  • Das Pferd kann kaum noch oder gar nicht mehr auftreten oder lahmt stark
  • Das Pferd beginnt zu schwitzen, schneller zu atmen, zu schwanken oder zu zittern (Anzeichen eines Schocks)
  • Die Wunde schwillt schnell an

Solltest du in allen anderen Fällen trotzdem unsicher in Bezug auf den Schweregrad der Wunde sein, ruf bitte immer einen Tierarzt, denn dieser kann die Verletzung sofort genau untersuchen und behandeln.

Kleinere Wunden oder Prellungen: Maßnahmen, die der Tierhalter durchführen kann

  • Bei Prellungen und Blutergüssen: kurz unter laufendem Wasser kühlen, danach können kühlende Gels oder Pasten aufgetragen werden, dabei ist darauf zu achten, dass diese nicht in offene Wunden gelangen
  • Offene Wunden: mit klarem Wasser oder Kochsalzlösung reinigen
  • Trockenen Verband anlegen

Größere Verletzungen: erste Maßnahmen bis der Tierarzt eintrifft

  • Ruhe bewahren, Panik hilft niemandem und birgt nur die Gefahr von zusätzlichem Stress für das Pferd
  • Bei stark blutenden Wunden: sauberen Druckverband anlegen
  • Bei stark verschmutzen Wunden: ausschließlich mit klarem Wasser spülen
  • KEINE Salben, Desinfektionsmittel oder Sprays verwenden bevor der Tierarzt da ist
  • Für den Notfall: Kliniknummer und Transportmittel einsatzbereit halten

Behandlung

Die individuelle Behandlung durch den Tierarzt richtet sich natürlich immer nach Lokalisation, Art und Schwere der Verletzung. Als allererstes aber gilt es den Tetanusschutz des Tieres zu überprüfen. Ist das Pferd nicht regelmäßig geimpft, muss durch den Tierarzt eine passive Immunisierung verabreicht werden, denn die Erreger des Wundstarrkrampfes sind überall in der Umwelt vorhanden und deren Gift kann leicht in offene Wunden gelangen.

Kleinere Schürf- oder Schnittwunden können nach Säuberung mit Hilfe eines Wundverbandes versorgt werden, bei größeren Wunden kann es notwendig werden, dass der Tierarzt die Wunde entweder mit einer Naht oder mit Hautklammern verschließt. Er achtet dabei darauf, dass sich bildende Wundflüssigkeit abfließen kann. Inwiefern entzündungshemmende oder antibiotische Medikamente zum Einsatz kommen, entscheidet der Tierarzt im Einzelfall.

Ist durch den behandelnden Tierarzt im Stall nicht auszuschließen, dass tiefer liegende Strukturen, wie Muskeln, Sehnen oder Knochen in Mitleidenschaft gezogen wurden, sollte das Pferd umgehend in eine Pferdeklinik gebracht werden, um weiterführende Untersuchungen oder auch eventuell notwendige Operationen durchzuführen.

Pferdebein mit Verletzung
Pferd mit einer Verletzung an der Fessel
Wundheilung und Komplikationen

Pferde verfügen grundsätzlich über eine sehr gute Wundheilung, die schon wenige Minuten nach der Verletzung einsetzt.

Die Wundheilung kann in verschiedene Phasen unterteilt werden, wobei die Phasen nicht streng zeitlich voneinander getrennt, sondern zum Teil auch parallel über die verschiedenen Wundabschnitte verteilt ablaufen:

  • Reinigungs- oder Exsudationsphase: Blutstillung, Blutgerinnung, Wundflüssigkeit wird abgesondert, um Schmutz und Erreger aus der Wunde zu spülen, Wundschorf entsteht 
  • Granulationsphase: Bildung von neuen Gefäßen und Bindegewebe (= Ersatzgewebe) um den Defekt aufzufüllen
  • Reparationsphase: die Oberfläche wird durch die Bildung neuer Hautzellen verschlossen 

Dieser Prozess kann sich bei großflächigen Wunden über einen sehr langen Zeitraum hinziehen und dem Besitzer viel Pflege abverlangen. Da offene Wunden immer eine Eintrittspforte für Bakterien darstellen, können sich vor allem kleine unentdeckte Verletzungen leicht entzünden. Die Bakterien dringen über die Wunde in das Unterhautgewebe ein und führen zu einer großflächigen Bindegewebs- und Lymphgefäßentzündung, der Phlegmone. Diese tritt besonders häufig an den Beinen des Pferdes auf und ist unter Reitern besser bekannt als "Einschuss". Das Pferdebein kann dadurch von einem auf den anderen Tag stark anschwellen. Allerdings kommt es nicht bei jedem Pferd nach einer Wunde auch zum "Einschuss", denn jedes Pferd verfügt zum Zeitpunkt der Verletzung über ein unterschiedlich gut funktionierendes Immunsystem und ist unterschiedlich empfindlich.

In warmen Sommermonaten muss bei großflächigen offen Wunden, die schlecht zu verbinden sind, immer auch die Gefahr der Besiedlung durch Fliegenlarven (Maden) berücksichtigt werden. Achte deshalb bei der Wundpflege auf penibelste Hygiene und reinige auch die durch Wundsekret verschmutze Umgebung der Verletzung. 

Das neu gebildete Bindegewebe, sogenanntes Granulationsgewebe ist mit einer Vielzahl von kleinen Blutgefäßen durchzogen und hat daher eine körnige Oberfläche (Granulum = Körnchen). Eine weitere Komplikation in der Wundheilung stellt die sogenannte Hypergranulation dar, die Bildung von überschüssigem Ersatzgewebe auf der Wunde. Weil das überschüssige, tiefrote Gewebe über das Hautniveau hinausragt, wird umgangssprachlich auch von "wildem Fleisch" gesprochen. Die letzte Phase der Wundheilung ist damit gestört, da sich die Wunde nicht mehr vom Wundrand ausgehend verschließen kann. Ursache hierfür können lokale Blutergüsse oder Infektionen aber auch Stoffwechselstörungen wie Vitaminmangel oder Immuninsuffizienz sein. Die Behandlung einer solchen Wunde muss immer durch den Tierarzt vorgenommen werden. Da das Granulationsgewebe nur Blutgefäße aber keine Nerven enthält kann es vom Tierarzt problemlos abgetragen werden.

Prophylaxe – ist das möglich?

Natürlich kannst du dein Pferd nicht in Watte packen, wenn es ein artgerechtes Pferdeleben führen soll. Gewisse Vorkehrungen können das Verletzungsrisiko eines Pferdes jedoch zumindest verringern. 

  • Paddock- oder Weidepartner sorgfältig auswählen, eventuell zu Beginn fremde Pferde durch einen Zaun trennen 
  • Aufwärmphase: keine Kaltstarts in Reithalle oder beim Longieren 
  • Bandagen, Gamaschen oder Hufglocken beim Reiten, Longieren, Springen und vor allem beim Transport
  • Boxen, Auslauf, Paddocks und Weiden auf Fremdkörper und spitze Gegenstände überprüfen 
  • Pferdegerechte Umzäunung wählen 
  • Halfter und Gamaschen auf der Weide vermeiden